Zum Untermenü Springen Sie zum Katalogsuchfeld Springen Sie zum Website-Suchfeld Springen Sie zur Seite mit Informationen zur Barrierearmut Springen Sie zum Inhalt
Seitenleiste öffnen/schließen

Wissenschaft verwickelt. Mumienbinden in der Universitätsbibliothek Leipzig

Mumienbinden mit hieratischen oder hieroglyphischen Beschriftungen gehörten zu den "beliebtesten" Objekten, die im 18. und 19. Jahrhundert im Antikenhandel erworben werden konnten. Sie fanden dadurch ihren Weg in zahlreiche europäische Sammlungen mit Aegyptiaca, so auch in die Papyrussammlung der Universitätsbibliothek Leipzig.

Erste Belege für schmale beschriftete Mumienbinden stammen aus dem späten 5. Jh. v. Chr. Sicher nachzuweisen sind sie von der 30. Dynastie an (um 380 v. Chr.) bis in die ausgehende Ptolemäerzeit (1. Jh. v. Chr.), womöglich sogar bis in die frühe Römerzeit (1. Jh. n. Chr.). Für die Mumienbinden wurde ausschließlich Leinen verwendet, wobei die Binden nicht als schmale Leinenstreifen gewebt worden sind, sondern von größeren Tüchern abgerissen wurden.

Die Kabinettausstellung in der Bibliotheca Albertina ist vom 11.01 bis zum 18.03.2018 täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet.

Der Eintritt ist frei.

Faltblatt zur Ausstellung (PDF, 2,7 MB)

Die Ausstellung „Verwickelte Wissenschaft. Mumienbinden der Universitätsbibliothek Leipzig“ (11. Januar bis 18. März 2018) stellt das Ergebnis einer perfekt verwickelten Zusammenarbeit zwischen einer Wissenschaftlerin und einem Restaurator dar. Wie kam es dazu?

Oktober 1997 wurde mit der Erschließung der Papyrussammlung und damit einhergehend die konservatorische und restauratorische Arbeit in der Bibliotheca Albertina begonnen. Prof. Reinhold Scholl, zu diesem Zeitpunkt Kustos der Papyrus- und Ostrakasammlung der Universitätsbibliothek Leipzig (UBL), suchte eine Restauratorin oder einen Restaurator mit entsprechender Erfahrung. Den oder diejenige gab es jedoch zu diesem Zeitpunkt in Leipzig nicht. Die Bibliotheksleitung entschied sich, Jörg Graf aus der hauseigenen Restaurierungswerkstatt an das Ägyptische Museum nach Berlin zu schicken, damit er sich in die Papyrusrestaurierung mit ihren spezifischen Anforderungen einarbeiten konnte.

Inzwischen sind rund 3.700 Papyrusfragmente in einer Online-Datenbank nach erfolgreicher Restaurierung erfasst worden. Neben diesen Fragmenten gab es da jedoch noch diesen ungelösten Fall im Schrank: Die Mumienbinden mit der Signatur Cod.Tischendorf LIV.V.1090 K.

Der Bilderrahmen mit textilem Inhalt wurde immer mal zu Führungen gezeigt oder unter Kolleginnen und Kollegen hervorgeholt, um zu veranschaulichen, inwieweit in der Vergangenheit restauratorisch nicht ganz ordentlich gearbeitet wurde. Der Rahmen wurde dann wieder zurückgestellt und musste auf den nächstbesten Moment warten.

Dieser Moment war am 12. November 2014 gekommen. Im Ägyptischen Museum in Leipzig fand der 4. Georg Steindorff-Tag statt. Interessant war dort vor allem ein Vortrag mit dem Titel: „Binden, Tücher, Streifen: Zu den beschrifteten und dekorierten Mumientextilien im Ägyptischen Museum Leipzig“ von Dr. Susanne Töpfer. Während des Vortrags erinnerte sich Jörg Graf an seine „Leiche“ im Schrank.

Zwei Tage später, am 14. November 2014, stand Dr. Töpfer in der Restaurierungswerkstatt der UBL und zeigte sich von den Binden begeistert. Nach diesem Besuch war klar: Zur Erschließung der Stücke aus dem späten 4. bis 1. Jh. v. Chr. brauchte es sowohl die Wissenschaftlerin als auch den Restaurator.

Die Mumienbinden mussten umverglast und somit besser aufbewahrt werden. Die ersten Proben vom Trägerpapier und dem verwendeten Klebemittel wurden am 12. Mai 2017 genommen. Die Vermutung bestätigte sich, dass das verwendete Mittel ein Glutinleim (Knochenleim) war und damit die Möglichkeit bestand, diesen mit Wasser wieder zu aktivieren und abzulösen. Bei weiterer Betrachtung von Fotos, wie auch der Binden selbst, stellte sich heraus, dass die Binden sehr grob und schlecht aufgeklebt waren. Jörg Graf gelang es, die zum Teil Kante an Kante geklebten Binden in drei einzelne Teile zu zerlegen, was die weiteren Restaurierungsarbeiten erheblich erleichterte. Nach dem Abnehmen des Trägerpapiers wurden die Binden auf einer Kapillareinheit gereinigt. Dabei wurden alle löslichen Schadstoffe kontrolliert und schonend aus dem Gewebe herausgelöst.

Nach dem Trocknungsprozess wurden die Binden auf ein Baumwollvlies selbsthaftend abgelegt und verglast. Sie befinden sich heute in einer Schutzverpackung und werden in einem konstant klimatisierten Magazin aufbewahrt. Dr. Susanne Töpfer erschloss als Wissenschaftlerin die restaurierten Mumienbinden aus dem Bestand der UBL und pflegte die Informationen in die Datenbank Organa Papyrologica ein.

Die Verwicklung war vollendet: Die gemeinschaftliche Arbeit von Restaurierung und Wissenschaft mündete 2018 in der gemeinsamen Kabinettausstellung „Wissenschaft verwickelt“ in der Bibliotheca Albertina.

(Jörg Graf)

Da von den meisten Mumienbinden kaum ein gesicherter archäologischer Kontext erhalten ist, lässt sich schwerlich ein Anbringungs- resp. Wicklungsprinzip am Leichnam nachweisen. Der Großteil der in Hieroglyphen und Hieratisch verfassten Sprüche auf den Mumienbinden stammen aus dem sogenannten Totenbuch. Der Begriff Totenbuch, der 1842 von Karl Richard Lepsius geprägt wurde, ist etwas irreführend, da es sich bei dem Text im ägyptischen Verständnis nicht um ein Sterberegister handelt. Es ist vielmehr eine Sammlung von Texten, welche die Ägypter selbst mit Sprüche vom Herausgehen am Tage betitelten. Diese Spruchsammlung wurde dem Verstorbenen als eine Art Wegweiser durch das Jenseits mit ins Grab gegeben, um diesen mit dem notwendigen Wissen auszustatten, das ihn vor Gefahren beschützen und seine Bewegungsfreiheit gewährleisten sollte. Des Weiteren sollten die Texte die Versorgung mit Wasser und Atemluft garantieren sowie die Vereinigung des Verstorbenen mit verschiedenen Gottheiten.

Es sind daneben Beispiele für Mumienbinden wie auch Papyri bekannt, die mit funerären Texten und Verklärungen außerhalb des Totenbuches beschriftet sind. Diese wurden aus dem Kult um den Totengott Osiris übernommen resp. schöpfen aus dem Textbestand osirianischer Ritualkompositionen, welche insbesondere im späten 4. sowie 3. Jh. v. Chr. für den Verstorbenen adaptiert worden sind. Der Vorteil der Mumienbinden gegenüber den Funerärpapyri ist die direkte Nähe der Texte zu dem Verstorbenen, der „umhüllt“ von den magischen Sprüche im Jenseits unmittelbar geschützt wird.

(Susanne Töpfer)

Auf dem Mumienbindenstück sind zwei Textkolumnen fragmentarisch erhalten, die – von rechts nach links verlaufend – die Totenbuch-Sprüche 54 bis 57 enthalten. Das Thema der Sprüche ist die Sicherstellung der Atemluft des Verstorbenen im Jenseits als Gewähr für seine ewige Fortexistenz. Zu diesem Zwecke ruft der Verstorbene den Schöpfergott Atum an und bezeichnet sich selbst u.a. als Luftgott Schu. Während von der ersten Textkolumne nur wenig erhalten ist (Totenbuch-Spruch 54 und der Anfang von Spruch 55), ist die zweite Kolumne (Sprüche 55 und 56 sowie der Anfang von Spruch 57) beinahe vollständig.

Die verwendete Schrift ist hieratisch, niedergeschrieben mit einer dünnen Binse in einer recht schmucklosen Handschrift. Aufgrund paläografischer Eigenheiten lässt sich die Mumienbinde in die Ptolemäerzeit, konkret in das 4. bis 2. Jh. v. Chr. datieren. Die schmale Linie oberhalb der Textkolumnen dürfte als Basis für Vignetten vorgesehen gewesen sein, die allerdings nicht ausgeführt wurden. Auffällig ist die Tatsache, dass der obere Teil des Textils nicht wie die Seiten und der untere Abschnitt ausgefranst ist, sondern sauber abgetrennt wurde. Demzufolge dürfte die Mumienbinde ursprünglich etwas höher gewesen sein.

In der letzten Zeile der zweiten Kolumne sind die Namen des Besitzers und seiner Mutter erhalten: Chons-Thot, geboren von Ipet-weret. Insbesondere der theophore Name des Besitzers (griech. Χεσθωτης, Chesthotes) ist in der Ptolemäerzeit vor allem im thebanischen Raum verbreitet, was ein Argument für Theben als Herkunftsort der Mumienbinde sein könnte.

(Susanne Töpfer)

 

Zum Digitalisat:

P.Lips.Inv. 3600

Die Themen der fünf schmalen Mumienbinden sind der Schutz der Verstorbenen und ihre Bewegungsfreiheit in der Unterwelt wie auch im Himmel. Die Mumienbinden tragen zwei Zeilen nicht sicher zu identifizierender Texte. Einige Formulierungen wie z.B. „die Tore des Himmels sind mir geöffnet“ oder „ich bin das Gestern“ stammen potentiell aus dem Totenbuch-Corpus, eine konkrete Zuordnung zu einzelnen Sprüchen ist mir allerdings nicht möglich. Es könnte sich auch um Jenseitstexte außerhalb des Totenbuch-Corpus handeln.

Die fünf Mumienbinden sind nur fragmentarisch erhalten, so auch die Texte. Lediglich auf einer Binde (P. Lips. Inv. 3602.1) ist der Anfang der beiden Schriftzeilen erhalten. Eine Besonderheit hierbei ist der Umstand, dass der Spruch beider Zeilen, eingeleitet durch „Osiris, er sagt“, identisch ist. Die Texte wurden in hieratisch von rechts nach links verlaufend aufgeschrieben. Im Hinblick auf den Duktus sowie paläografischer Eigenheiten lassen sich mindestens zwei, wenn nicht sogar drei Schreiber unterscheiden. Die Handschrift des Exponats P. Lips. Inv. 3601 weist Ähnlichkeiten mit derjenigen des Exponats P. Lips. Inv. 3602.3 auf, während Exponate P. Lips. Inv. 3602.1 und 3602.4 vom gleichen Schreiber beschriftet sind. Die beiden Kopisten unterscheiden sich vor allem in der Filiationsangabe, der erste Schreiber wählt „geboren von“ während der zweite Schreiber „ihre Mutter“ verwendet, dies zudem in einer außergewöhnlichen hieratischen Graphie. Der Text auf Exponat P. Lips. Inv. 3602.2 könnte wiederum von einem dritten Schreiber aufgetragen worden sein.

Die fünf Fragmente lassen sich weder inhaltlich noch hinsichtlich der Materialbeschaffenheit direkt zusammenschließen. Während die vier schmaleren Exponate P. Lips. Inv. 3602.1–4 eventuell zum gleichen Textilstreifen gehören könnten, so stammt das höhere Exponate P. Lips. Inv. 3601 eindeutig von einem weiteren Streifen. Dennoch dürften alle fünf Mumienbinden ursprünglich zur gleichen Bestattung gehört haben, da der Name der Besitzerin sowie ihrer Mutter stets der gleiche ist. Der Name der Besitzerin Aset-weret „Isis, die Große“ ist in der Ptolemäerzeit häufig belegt, seltener hingegen derjenige der Mutter Nebet-wedjat „Herrin des Udjat-Auges“. Zum gleichen Bindenset gehört sehr wahrscheinlich eine Mumienbinde im Musée du Louvre in Paris (Inv.-Nr. E22), die ebenfalls mit zwei Zeilen hieratischen Textes beschriftet ist, der Ähnlichkeiten mit Totenbuchsprüchen aufweist.

(Susanne Töpfer)

 

Zum Digitalisat:

P.Lips.Inv. 3601

P.Lips. Inv. 3602.1-4

 

Versprödet, deformiert und unsachgemäß auf säurehaltigen Karton aufgeklebt, so befand sich Cod. Tischendorf LIV jahrelang im Schrank der Papyrussammlung in der Bibliotheca Albertina. Nicht vergessen, aber auch nicht aktiv in der Bearbeitung. Die veraltete Aufbewahrungsform oder typische „Restaurierung“ wurde vermutlich um das Jahr 1910 angefertigt. Dies sollte im Jahr 2015 verändert werden. Das Ziel der Restaurierung in jener Zeit war es, die Mumienbinden zu stabilisieren, repräsentativ und vorführbar aufzubewahren. Häufig wurden auf fragile Materialien wie Papyrus, Notenhandschriften und eben Leinengewebe versteifende Trägerpapiere aufkaschiert. Für diese Arbeiten wurden die in jener Zeit „modernen“ Fixiermittel oder schon immer verwendeten Klebemittel benutzt. Die Frage nach der Alterungsbeständigkeit der verwendeten Materialen spielte dabei keine große Rolle.

Die größten Fragen zur Restaurierung der Mumienbinden waren:

Ist die Beschriftung lösungsmittelstabil?
Kann die Kaschierung auf den Binden abgenommen werden?
Wie verhält sich das Gewebe im Kontakt mit Feuchtigkeit?
Können die vorgefundenen Verfärbungen minimiert werden?
Gehören die Binden wirklich zusammen?
Wie sollen die Mumienbinden nach der Restaurierung aufbewahrt werden?

Bevor die Restaurierungs- und Konservierungsmaßnahmen durchgeführt werden, wird wie bei jeder Restaurierung eine ausführliche Fotodokumentation angefertigt. Es wurden Proben vom Trägerpapier und Klebemittel genommen, um die Auflösbarkeit zu testen. Um nicht mit allen Binden gleichzeitig zu arbeiten, wurden diese in drei Teile zerlegt. Die einzelnen Fragmente wurden zwischen feuchten Kompressen konditioniert, um das Fixiermittel zwischen Papier und Gewebe anzulösen und abnehmen zu können. Nach dem Abnehmen des Trägerpapieres wurden die Binden zur wässrigen Reinigung auf eine Kapillareinheit, bestehend aus einer schiefen Ebene, einem Wasser-, Leimgemisch und einem Kapillarflies abgelegt. Dabei wurden alle löslichen Schadstoffe kontrolliert und schonend aus dem Gewebe herausgelöst. Nach dem Trockenprozess wurden die Binden auf einen selbsthaftenden Baumwollflies abgelegt und verglast. Die Binden werden jetzt in einer Schutzverpackung und in einem konstant klimatisierten Magazin aufbewahrt.

(Jörg Graf)